Durch die fortschreitende Elektrifizierung von Wärme- und Verkehrssektor werden Netzengpässe in Verteilnetzen wahrscheinlicher. Dadurch könnte es notwendig werden, die Netze auszubauen – sofern es nicht gelingt, vorhandene Flexibilität bei Verbrauch und Erzeugung zu nutzen. Um diese Flexibilitätspotenziale zu heben, werden Koordinationsmechanismen gebraucht, die Knappheitssignale aus dem Strommarkt und dem Stromnetz transparent machen. So könnten durch intelligentes Laden von Elektrofahrzeugen die Ausbaubedarfe von Verteilnetzen auch bei deutlich mehr Elektrofahrzeugen reduziert werden.
Zu diesem Ergebnis kommt das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) im Rahmen der neuen Kurzstudie „Dezentrale Koordination – Auswirkungen unterschiedlicher Ladekonzepte für Elektrofahrzeuge auf Markt und Netz“, die durch die Gesellschaft zur Förderung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln e.V. gefördert wurde.
In der Kurzstudie hat ein Team des EWI am Beispiel von Ladevorgängen von Elektrofahrzeugen unterschiedliche Koordinationsmechanismen untersucht. Dazu haben die EWI-Forscher Dr. Johannes Wagner, Nils Namockel und Arne Lilienkamp ein Strommarkt- und ein Netzmodell miteinander gekoppelt. Mit den gekoppelten Modellen hat das EWI-Team vier verschiedene Ladekonzepte miteinander verglichen:
In der Analyse zeigt sich, dass der Elektrofahrzeughochlauf auch unter dem Status quo (ungesteuertes/isoliertes Laden) nicht zwangsläufig zu Netzengpässen führen muss, die Wahrscheinlichkeit von Netzengpässen in diesem Fall jedoch steigt.
Netzorientiertes Laden, etwa in Form von Zeitfenstern mit Leistungsbegrenzungen für Wallboxen, kann Lastspitzen begrenzen. Der Ansatz kann jedoch auch zu Ineffizienzen führen, wenn die Ladeprozesse pauschal und nicht bedarfsgerecht abgeregelt werden und somit die vorhandene Infrastruktur nicht optimal genutzt wird.
Marktorientiertes Laden durch variable Stromtarife, die den aktuellen Großhandelspreis abbilden, kann dazu beitragen, die Ladekosten von Haushalten zu reduzieren und gleichzeitig den Anteil erneuerbarer Energien am Ladestrom zu erhöhen. Das Angebot variabler Strompreise ist damit sowohl im Interesse der Energieversorger, weil es zur Glättung der Beschaffungsprofile beiträgt, als auch im Interesse von Endkundinnen, die zu geringeren Preisen laden können. Variable Strompreise erhöhen die Attraktivität der Elektromobilität und können dadurch einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende in Deutschland leisten. Einfache sogenannte Time-of-use-Tarife können hier ein Anfang zur Flexibilisierung sein.
Variable Strompreise können jedoch die Spitzenlast im Vergleich zum ungesteuerten Laden durch Herdenverhalten auch deutlich erhöhen. Dies kann das Auftreten von Engpässen im Verteilnetz begünstigen. Durch die optimale Kombination von Netz- und Marktsignalen und die Ausnutzung des Flexibilitätspotenzials von Ladevorgängen, dem sog. systemorientierten Laden, können Engpässe im Verteilnetz vermieden und Ladekosten reduziert werden.
„Grundsätzlich können mit den vorhandenen Flexibilitätspotenzialen der Ladevorgänge Netzengpässe vermieden werden – und damit auch teurer Netzausbau reduziert werden“, sagt Nils Namockel. Dies gilt grundsätzlich sowohl für den fortschrittlichen Ansatz des systemorientierten Ladens, der Markt- sowie Netzsignale berücksichtigt, als auch für einfachere rein netzorientierte Ansätze wie eine pauschale Leistungsbegrenzung. Dabei können in der zugrundeliegenden Analyse mit beiden Ansätzen Netzengpässe vermieden werden, ohne das Mobilitätsverhalten einzuschränken.
“Für eine erfolgreiche Umsetzung gibt es jedoch noch Hürden”, so die Autoren. Während die Umsetzungshürden für die Integration von Marktsignalen eher technischer Natur sind (z.B. Verzögerung des Smart-Meter-Rollouts), sind in Bezug auf Netzsignale zusätzlich noch regulatorische Hürden zu nehmen. So fehlt beispielsweise die regulatorische Grundlage, um bei steuerbaren Verbrauchseinrichtungen (zum Beispiel Elektroautos) durch geeignete Konzepte netzdienliches Verhalten anzureizen. “Hier müsste u.a. §14a EnWG reformiert werden, der steuerbare Verbrauchseinrichtungen in der Niederspannung adressiert.”