Die Energiekrise treibt die Strompreise auf Rekordhöhe, der Großhandelsstrompreis überschritt zeitweise 850 EUR/MWh. Damit wurden die Höchstwerte aus dem Jahr 2021 von bis zu 300 EUR/MWh noch einmal deutlich übertroffen. Der wöchentliche Mittelwert der Preise erreichte Ende August seinen bisherigen Hochpunkt; in Kalenderwoche 34 betrug er 586 EUR/MWh. Im Durchschnitt wurden in den Monaten Januar bis Oktober 2022 240 EUR/MWh bezahlt. Das ist ungefähr drei Mal so viel wie im Vorjahr, und mehr als acht Mal so viel wie im Jahr 2020. Seit August 2022 ist der Strompreis zwar wieder gesunken, die Preise sind jedoch weiterhin auf historisch hohem Niveau.
Wie diese Rekordpreise zustande kamen, haben Fachleute des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln in der Kurzanalyse „Rekordstrompreise im Jahr 2022“ untersucht. Die Analyse von Fabian Arnold, Dr. Eren Çam, Konstantin Gruber, Jakob Junkermann und Philipp Kienscherf basiert unter anderem auf dem – nun kostenlos verfügbaren –, mit dem die Einsatzreihenfolge konventioneller Kraftwerke anhand ihrer Grenzkosten abgebildet werden kann. Die Einsatzreihenfolge, die so genannte Merit-Order, ist ein zentraler Bestandteil der Preisbildung an Strombörsen: Das teuerste zur Deckung der Nachfrage benötigte Kraftwerk in jeder Stunde bestimmt den Preis für alle Marktteilnehmer, es ist also preissetzend.
„Im Jahr 2022 sind die Brennstoffpreise im Vergleich zum Vorjahr nochmal stark gestiegen“, sagt Philipp Kienscherf. „Vor allem die Rekordpreise an den Gasmärkten haben die Strompreise dieses Jahr – insbesondere im August – sprunghaft ansteigen lassen.“
Im Jahr 2022 sind zeitweise deutlich mehr als 200 EUR/MWhth für Gas bezahlt worden, ein Haupttreiber für die hohen Strompreise. Dabei war der Gaspreis vor allem getrieben von den Verwerfungen an den Gasmärkten in Folge des Kriegs in der Ukraine. Faktoren, die zu steigenden Preisen geführt haben, umfassen:
Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine stiegen auch die Preise für Steinkohle im vergangenen Jahr deutlich und erreichten neue Rekordwerte von knapp 60 EUR/MWhth, eine Verdopplung des Vorjahreshöchstwertes von 30 EUR/MWhth. Von Januar bis Oktober 2022 war der durchschnittliche Steinkohlepreis mit 41 EUR/MWhth etwa drei Mal höher als im Vorjahreszeitraum.
Für Emissionszertifikate stieg der Preis ebenfalls an, wenn auch nicht so deutlich wie für Brennstoffe. Der Rekordwert im Jahr 2022 lag mit 100 EUR/tCO2 nur knapp über dem Vorjahreshöchstwert von 90 EUR/tCO2. Im Zeitraum bis Oktober 2022 mussten Industrie und Energiewirtschaft durchschnittlich 81 EUR für den Ausstoß einer Tonne CO₂ zahlen, ca. 35 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Anstieg der Zertifikatspreise war jedoch bereits Ende 2021 deutlich zu spüren. Getrieben sind die hohen Zertifikatspreise auf der einen Seite durch die Verringerung des Angebots, die mit der Verschärfung der europäischen Klimaziele einhergeht. Auf der anderen Seite steht eine höhere Nachfrage in der Energiewirtschaft; da Stein- und Braunkohlekraftwerke einen höheren CO2-Ausstoß haben als Gaskraftwerke, steigt mit einem Wechsel von Gas- auf Kohlestrom der Bedarf an CO2-Emissionszertifikaten.
Insgesamt erhöhen die gestiegenen Preise für Brennstoffe sowie CO2-Emissionszertifikate die Grenzkosten konventioneller Kraftwerke und beeinflussen damit die Einsatzreihenfolge am Strommarkt, die sogenannte Merit-Order. Die durchschnittlichen Grenzkosten der Gas- und Kohlekraftwerke lagen im Jahr 2022 auf einem deutlich höheren Niveau als in vergangenen Jahren.
„Zwar sind die Grenzkosten für alle konventionellen Erzeugungstechnologien gestiegen, der Preisanstieg für Erdgas fiel allerdings deutlich stärker aus als für CO2-Zertifikate und Steinkohle”, sagt Fabian Arnold, Senior Research Associate am EWI. „Diese Entwicklung rentierte sich vor allem für die Betreiber von Kohlekraftwerken, deren Wirtschaftlichkeit aufgrund der – vor allem durch die Gaspreise getriebenen – hohen Strompreise deutlich zugenommen hat.“
Da Kohlekraftwerke aufgrund der niedrigeren Grenzkosten zur Stromerzeugung zuerst abgerufen wurden, waren Gaskraftwerke im Day-Ahead-Markt 2022 häufig preissetzend. Dementsprechend waren die Strompreise in vielen Stunden deutlich höher als die Grenzkosten der Kohlekraftwerke. Die Differenz zwischen den Grenzkosten (inkl. Emissionskosten) eines Kraftwerktyps und dem am Markt erzielbaren Strompreis wird als Clean Spread bezeichnet. Clean Spreads beschreiben somit die Wirtschaftlichkeit von Kraftwerken. Wie in Abbildung 3 dargestellt, sind die monatlichen Spreads der Kohlekraftwerke (Clean Dark Spread und Clean Brown Spread) im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Folge war eine hohe Profitabilität der Kohlekraftwerke.
Seit Ende August sind die Gaspreise und damit die Strompreise deutlich gefallen. Die Preise liegen jedoch weiterhin auf historisch überdurchschnittlichem Niveau. Die zukünftige, kurzfristige Entwicklung der Strompreise hängt von den Entwicklungen der Gasmärkte und damit von Faktoren wie der Temperatur im Winter, dem Heizverhalten sowie den LNG-Importmöglichkeiten ab. Eine Rolle spielt auch die Stromerzeugung im europäischen Ausland, insbesondere der Kernenergie in Frankreich. Zudem dürften Kraftwerksstillegungen auf der einen Seite und die Laufzeitverlängerungen von Kohlekraftwerken sowie der verlängerte Leistungsbetrieb von drei deutschen Atomkraftwerken auf der anderen Seite den Preis mittel- und langfristig beeinflussen.