Für die Wärmewende kann technisch nicht vermeidbare Abwärme aus Industrieprozessen ein wichtiger Baustein sein und werden. Das EWI zeigt in einer neuen Analyse das Potenzial zur Integration von Abwärme für die Dekarbonisierung von Wärmenetzen und schätzt die branchenspezifische Entwicklung des Potenzials ein. Laut den Ergebnissen der Analyse ist ein sinkendes Gesamtpotenzial für Abwärme in NRW möglich.
In der Analyse „Implikationen und Perspektiven zur Integration von Abwärme in die Wärmeversorgung in NRW“ bereitet ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) die Regulatorik zu Abwärme auf und erstellt einen Kriterienkatalog zur technischen und ökonomischen Umsetzung von Abwärmeprojekten. Es werden sowohl bestehende als auch neue Abwärmepotenziale in NRW und ihre branchenspezifische Entwicklung dargestellt. Die Analyse entstand im Rahmen des „Forschungsprogramms Wärmewende“ des EWI und wurde von der Gesellschaft zur Förderung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln e. V. gefördert.
Im Jahr 2022 waren rund 68 Prozent des industriellen Endenergieverbrauchs in Deutschland der Prozesswärme zuzuordnen, zum Beispiel für das Schmelzen von Eisenerzen in der Stahlherstellung oder das Trocknen von frisch gepressten Papierbahnen in der Papierherstellung. Oft wird die aufgebrachte Wärme im Prozess aufgrund physikalischer und technischer Einschränkungen nicht vollständig verwendet. Stattdessen wird sie nach der eigentlichen Nutzung als sogenannte Abwärme an die Umgebung abgegeben. Diese technisch nicht vermeidbare Abwärme könnte stattdessen auch in Wärmenetze eingespeist und damit zur Dekarbonisierung genutzt werden. Besonders in NRW mit vielen energieintensiven Industriebetrieben, einer hohen Bevölkerungsdichte und bereits bestehenden Wärmenetzen kann die Nutzung von technisch nicht vermeidbarer Abwärme ein Baustein für die Wärmewende sein.
So wies NRW laut der „Potenzialstudie Industrielle Abwärme“ aus dem Jahr 2019 des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) 47 Prozent des Potenzials in Deutschland auf. Während das industrielle Abwärmepotenzial künftig durch die Dekarbonisierung und die damit verbundenen Prozessumstellungen und Effizienzgewinnen signifikant sinken könnte, ist in NRW mit der Entstehung neuer potenzieller Abwärmequellen wie Elektrolyseuren und Rechenzentren zu rechnen.
Regulatorisch wurde der Begriff „unvermeidbare Abwärme“ neu definiert und mit erneuerbaren Energien gleichgesetzt. Dadurch hat sie einen neuen Stellenwert für die Dekarbonisierung und darüber einen neuen Marktwert erhalten. Es liegt bisher allerdings weder ein einheitliches Fachgesetz für die Nutzung von Abwärme noch eine einheitliche rechtliche Definition für unvermeidbare Abwärme vor.
Bei der Abwärmenutzung kommt es sowohl auf technische als auch ökonomische Kriterien an. Aus technischer Sicht sind die Abwärmeeigenschaften, wie Abwärmemenge und Temperaturniveau, räumliche und zeitliche Verfügbarkeit sowie die Möglichkeit einer Prozessintegration entscheidend. Grundsätzlich sind für die ökonomische Einschätzung sowohl Faktoren aus Perspektive des Industrieunternehmens als auch des Wärmeversorgers zu nennen. Für Wärmeversorger ist bspw. besonders das Adressrisiko relevant, das den möglichen Wegfall der Abwärmequelle vor Abschreibungsende der aufgebrachten Investitionen zum Anschluss an das Wärmenetz beschreibt.
Aufgrund der hohen industriellen Dichte weist NRW insgesamt ein hohes theoretisches Potenzial an industrieller Abwärme auf. Das gesamte theoretische Potenzial beläuft sich laut der Potenzialstudie Abwärme des LANUV auf ca. 88 bis 96 TWh/a. Der Großteil des geschätzten Abwärmepotenzials fällt dabei in den Branchen Metallerzeugung und ‑bearbeitung (54 Prozent), Herstellung von Glas und Verarbeitung von Steinen & Erden (17 Prozent) sowie der chemischen Industrie (11 Prozent) an. „Für die Entwicklung der Abwärmepotenziale wird entscheidend sein, wie die einzelnen Industriebranchen die Energiewende umsetzen. Durch Prozessumstellungen, Energieeffizienzmaßnahmen aber auch der wirtschaftlichen Entwicklung können sich Abwärmepotenziale im Zeitverlauf ändern“, sagt Tobias Sprenger, Manager und Leiter des Forschungsprogramms Wärmewende am EWI, der die Analyse mit Polina Emelianova und Maximilian Walde erstellt hat.Hinzu kommen neue Abwärmepotenziale durch Elektrolyseure oder Datenzentren. Für Elektrolyseure wurde das theoretische Abwärmepotenzial geschätzt. Laut der Abschätzung weisen die bisher in NRW angekündigten Elektrolyseprojekte ein theoretisches Abwärmepotenzial von bis zu 0,63 TWh/a im Jahr 2030 auf. Weitere Investitionen in regionale Elektrolyseleistung sowie in neue, auf Abwärmenutzung ausgelegte, Rechenzentren könnten das zukünftige Abwärmepotenzial in NRW erhöhen.