Die Dekarbonisierung des Energiesektors führt zu einem massiven Rückgang der Nutzung fossiler Brennstoffe. In vielen europäischen Ländern ist das Gasnetz jedoch bislang nicht vollständig abgeschrieben. Politische Entscheidungen und technologische Entwicklungen machen die Nutzung von Gas zum Heizen zunehmend unattraktiv. Daher stehen Netzbetreiber vor dem Problem, dass ihre Infrastruktur zu „Stranded Assets“ werden könnte – also Investitionen, die nicht mehr durch Netzentgelte refinanziert werden können. Eine zentrale Herausforderung für Regulierer ist daher, die richtige Balance zwischen Kostenrückgewinnung und der Vermeidung von übermäßigen Belastungen für Haushalte zu finden.
Im Working Paper “A Day Late and a Dollar Short: Intertemporal Revenue Cap Regulation Considering Stranded Assets”, leiten Maria Nussberger, Hendrik Diers und Philipp Artur Kienscherf analytisch Erlösobergrenzen für Netzbetreiber her. Diese sind wohlfahrtsoptimal gegeben dem gewünschten Grad der Infrastrukturrefinanzierung. Die Forschung wurde im Rahmen des Kopernikus-Projekts ENSURE durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
In einem regulierten Gasnetz mit sinkender Nachfrage haben Netzbetreiber begrenzten Spielraum bei der Festlegung von Netzentgelten. Werden diese zu hoch angesetzt, wechseln Haushalte früher zu anderen Heiztechnologien wie einer Wärmepumpe. Dadurch verbleiben weniger Gasheizungen im Netz, was wiederum die Kosten auf eine immer kleinere Zahl von Haushalten verteilt. Dies kann eine Spirale auslösen, bei der steigende Entgelte die verbleibenden Haushalte weiter zur Abwanderung drängen.
Das Forschungspapier zeigt, dass eine degressive Abschreibung der wohlfahrtsoptimale Ansatz ist. Dabei werden Netzentgelte in den ersten Jahren höher angesetzt und anschließend schrittweise gesenkt. Dadurch können Erlöse zur Refinanzierung der Infrastruktur frühzeitig erzielt werden, wenn noch viele Haushalte im Netz verbleiben. Dies minimiert die Gefahr einer abrupten Netzflucht und reduziert die sozialen Kosten nicht abgeschriebener Investitionen.
In vielen Ländern, darunter Deutschland und Österreich, erfolgte die Abschreibung von Gasnetz-Investitionen bisher linear und über lange Zeiträume – oft länger als der politisch angestrebte Ausstieg aus fossilem Gas. Diese Praxis bedeutet lineare Erlösobergrenzen, was dazu führt, dass Netzentgelte zunächst niedrig bleiben, dann aber stark ansteigen. „Unsere Analyse zeigt, dass dieser Ansatz sowohl die Kostenrückgewinnung erschwert als auch Haushalte ungleich belastet“, sagt Philipp Artur Kienscherf, Head of Research Area Regulation am EWI. Besonders betroffen wären jene Haushalte, die erst spät auf alternative Heiztechnologien umsteigen können.
Diese mikroökonomische Analyse kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Entscheidung der Bundesnetzagentur, für neuere Gasnetze eine degressive Abschreibung von 15 Prozent zu ermöglichen. Beide Ansätze zielen darauf ab, die finanziellen Lasten ausgewogener zu verteilen und eine effiziente Transformation des Wärmesektors zu unterstützen.