CO2-neutraler Wasserstoff wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine essentielle Rolle in einem dekarbonisierten Energiesystem einnehmen. Doch bezüglich Kosten und regulatorische Anforderungen herrscht noch viel Forschungsbedarf. So lautete das Fazit eines Workshops zum Thema Wasserstoff, den das EWI vor wenigen Tagen veranstaltet hat. Etwa ein Dutzend Teilnehmende von anderen Forschungsinstituten sowie aus der Industrie und von Netzbetreibern waren der Einladung gefolgt.
Das EWI hatte im Herbst 2019 das „EWI Research Programme: The Role of Gas in the Energy Transition“ gegründet. Im Rahmen des Forschungsprogramms werden aktuelle gaswirtschaftliche Analysen und Forschungsbeiträge verfasst. Damit baut das Institut seine gaswirtschaftliche Forschungskompetenz weiter aus. Im Rahmen des Programms werden im Team um EWI-Manager Dr. Simon Schulte auch Nachwuchswissenschaftler*innen mit dem Schwerpunkt Gas (insb. Wasserstoff) ausgebildet.
Die Herausforderung „klimaneutrales Deutschland“ ist groß – das arbeiteten die Teilnehmenden des Workshops zu Beginn noch einmal heraus. Abbildung 1 zeigt den Endenergiebedarf in Deutschland im Jahr 2018, aufgeschlüsselt in Strom sowie die Summe der anderen Energieträger. Mit Blick auf den Stromsektor zeigt sich, dass der Anteil Erneuerbarer Energien auch dank der umfangreichen Förderung einen beachtlichen Anteil von 44 Prozent erreicht hat. In Bezug auf den gesamten Endenergiebedarf liegt der EE-Anteil allerdings bei weniger als einem Fünftel. Insbesondere außerhalb des Stromsektors (ca. 7% EE-Anteil) ist die Abhängigkeit von fossilen Energien immer noch hoch. Vor dem Hintergrund begrenzter geeigneter Flächen, langsamer Genehmigungsverfahren, regionaler Widerstände und einem daraus resultierenden schleppenden Ausbau der Windenergie scheint es unwahrscheinlich, dass die fossilen Brennstoffe allein durch den direkten Einsatz von Strom aus Erneuerbaren Energien ersetzt werden können. Die Nutzung von Wasserstoff wird dementsprechend zunehmen – diesbezüglich waren sich die Teilnehmenden des Workshops einig.
Anschließend ging es darum, wie teuer es ist, CO2-neutralen Wasserstoff herzustellen. In einem Impulsvortrag wurden insbesondere die Kostenstrukturen der beiden Herstellungsverfahren Elektrolyse – also der Zerlegung von Wasser mittels (grünem) Strom in Wasserstoff und Sauerstoff – sowie der Dampfreformierung von Methan in Kombination mit Carbon Capture and Storage (CCS) verglichen. Bei der Dampfreformierung reagieren Erdgas (mit seinem Hauptbestandteil Methan) und Wasserdampf, es entstehen Wasserstoff und Kohlenmonoxid (bzw. mit Luftsauerstoff Kohlenstoffdioxid). Das Kohlenstoffdioxid wird dann aufgefangen und gespeichert. Diese Option scheint kurz- bis mittelfristig die günstigere Alternative zu sein. Doch langfristig könnte auch mittels Elektrolyse erzeugter Wasserstoff konkurrenzfähig werden. Dies ist nicht nur davon abhängig, ob die Kosten der Technologie weiter sinken, sondern auch von der Entwicklung der Strom- und Gaspreise.
Die Teilnehmenden zeigten sich allerdings skeptisch, ob Elektrolyse ausschließlich mit „überschüssigem“ EE-Strom betrieben werden könne: Elektrolyseure sind kapitalintensiv und müssten hohe Betriebsstundenzahlen erzielen, um den Wasserstoff möglichst wirtschaftlich zu produzieren. Vor diesem Hintergrund wurde in der Diskussion die Frage aufgeworfen, ob eine Kombination von Elektrolyseuren mit dezidiert zu ihrer Versorgung errichteten Wind- oder PV-Anlagen nicht sinnvoller sei. Zudem wurde diskutiert, ob in Anbetracht der Akzeptanzschwierigkeiten in Deutschland (insbesondere von Windkraftanlagen) nicht europäisch gedacht werden muss, um auf Regionen mit besseren Wind- oder PV-Potenzialen zu schauen.
In einem weiteren Impuls wurde die Vision eines europäischen Wasserstoffverbundsystems skizziert, in dem Wasserstoff etwa aus dem sonnigen Südeuropa oder von den windigen Küsten über Pipelines in die Industriezentren transportiert werden sollte. Hier stellt sich jedoch die Frage, wie die bestehende Gas-Infrastruktur am kosteneffizientesten eingesetzt werden kann: Inwieweit sollen bestehende Erdgas-Pipelines umgewidmet und für Wasserstoff genutzt werden? Und in welchem Umfang muss ggf. in einen Netzausbau investiert werden?
Auch sind Finanzierung von Wasserstoffproduktion und -infrastruktur weiter unklar. Ohne einen ausreichend hohen CO2-Preis oder andere Arten der Förderung ist ein Markthochlauf von CO2-neutralem Wasserstoff nicht zu erwarten. Um kostensenkende Skalen- und Lerneffekte zu erzielen, ist es jedoch erforderlich, den Einsatz und Ausbau von CO2-neutraler Wasserstofftechnologie voranzutreiben. Dementsprechend wichtig ist eine Antwort auf die Frage, wie dieser Ausbau möglichst kosteneffizient angereizt werden könnte, ohne dass dauerhaft hohe Subventionen in den Sektor fließen müssten.
Im zweiten Teil des Workshops wurden diese regulatorischen Anforderungen an eine Wasserstoffwirtschaft diskutiert. Anreize sind notwendig, um eine Skalierung und Marktreife zu forcieren. Aber wie genau müssen ökonomisch effiziente Anreize ausgestaltet sein? Die Teilnehmenden stellten klar, dass ein Abschmelzen der Förderung von vornherein mitbedacht werden muss, um dauerhafte und möglicherweise ineffiziente Subventionen zu vermeiden. Außerdem ist unklar, ob Subventionen und/oder Fördermechanismen technologieoffen sein sollen (durch Einbeziehung aller Wasserstoff-Herstellungsverfahren), oder ob die Förderung einzelner Technologien möglicherweise kosteneffizienter wäre.
Beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist es wichtig, die gesamte Wertschöpfungskette zu analysieren. Dabei müssen die Rollen bestehender und neuer Akteure geklärt werden. Bei einer breiten Marktdurchdringung von Wasserstoff könnte eine flächendeckende Nachfrage entstehen, da Wasserstoff universell in den Sektoren Industrie, Verkehr und Gebäude sowie als Energiespeicher einsetzbar ist. Ein Einsatz über alle Sektoren hinweg würde, wie oben diskutiert, den Bau eines Wasserstoffnetzes oder die Umwidmung von bestehenden Erdgas-Leitungen bedingen. Im Falle einer Umwidmung läge der Aufbau der Infrastruktur in den Händen der Erdgas-Netzbetreiber. Dabei muss untersucht werden, wie ein ökonomisch effizienter Aufbau gelingen könnte. Sollten „Universal“-TSOs geschaffen werden, die für beide Netze verantwortlich sind, oder sollten neue Akteure beauftragt werden, separat ein reguliertes Wasserstoffnetz zu betreiben? Oder sollte Wasserstoffinfrastruktur erstmal gar nicht reguliert werden?
Bei der Wasserstoffproduktion stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die derzeit vertikal integrierten Anbieter entflechtet werden müssten, oder ob eine Kopplung von Produktion und Transport unproblematisch wäre. Wer also baut die Netze und wer baut und betreibt bspw. Elektrolyseure?
Inhalte und Diskussionen des Workshops haben einmal mehr herausgestellt, dass der ökonomisch effiziente Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft noch viel Forschungsbedarf mit sich bringt. Auf vielen Dimensionen stehen technologische und regulatorische Herausforderungen an, die gelöst werden müssen, um Angebot, Transport und Nachfrage bedarfsgerecht auf einen Markthochlauf vorzubereiten.
Im Rahmen es „EWI Research Programme: The Role of Gas in the Energy Transition“ widmen wir uns genau solchen und weiteren interessanten Fragestellungen. Für Fragen zum Programm kontaktieren Sie gerne den Leiter unseres Gas-Teams, Dr. Simon Schulte.
Vorträge, die im Rahmen der Workshops vorgestellt wurden: