Klimaneutralität 2045: EWI stellt Szenario für dena-Leitstudie vor

Klimaneutralität 2045: EWI stellt Szenario für dena-Leitstudie vor
7. Oktober 2021 |

Eine Bruttostromnachfrage von 698 TWh und ein Anteil erneuerbarer Energien von 68 Prozent, 66 TWh klimafreundlicher Wasserstoff, 14 Mio. Elektroautos und 4,1 Mio. Wärmepumpen im Jahr 2030: So könnte ein Zwischenschritt zur Klimaneutralität 2045 aussehen, zeigt das EWI im Rahmen der „dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“.

Um bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität zu erreichen, ist eine umfassende Transformation des Energiesystems in Deutschland notwendig. Wie diese aussehen könnte, hat das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) im Gutachterbericht „Klimaneutralität 2045 – Transformation der Verbrauchssektoren und des Energiesystems“ im Rahmen der „dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“ untersucht. Das Szenario beschreibt einen im Rahmen der Modellgrenzen konsistenten Pfad zur Erreichung der Klimaziele und orientiert sich am Klimaschutzgesetz 2021. Es berücksichtigt neben den sektoralen Klimazielen 2030 auch die sektorenübergreifenden Minderungsziele in den Folgejahren. Neben dem Hauptszenario werden vier Pfadausprägungen analysiert.

Im Szenario sinkt der Endenergieverbrauch bis zum Jahr 2045 um etwa 41 Prozent gegenüber dem Jahr 2018 – bedingt durch innovative Technologien, Energieeffizienz sowie verändertes Mobilitätsverhalten. Erdgas, Öl und Kohle werden durch Strom und Wasserstoff ersetzt. „Ab dem Jahr 2030 wird Strom zum wichtigsten Endenergieträger. Die Bruttostromnachfrage steigt im Szenario bis 2030 auf 698 TWh und bis 2045 auf 910 TWh“, sagt EWI-Manager Dr. Johannes Wagner. Bis 2030 wird die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien etwa verdoppelt und erreicht einen Anteil von 68 Prozent an der Bruttostromnachfrage. Der Kohleausstieg wird marktgetrieben beschleunigt. Neben Strom spielen langfristig Wasserstoff und Wasserstoff-Folgeprodukte wie synthetisches Kerosin eine zentrale Rolle.

Abbildung 1: Aggregierter Endenergieverbrauch der Verbrauchssektoren nach Energieträgern

Zum Rückgang des Endenergieverbrauchs tragen alle Sektoren bei

„Im Verkehrssektor werden Inlandsflüge und PKW-Verkehr teilweise auf umweltfreundlichere Busse und Bahnen verlagert und der Anteil von Elektrofahrzeugen steigt deutlich“, sagt EWI-Manager Max Gierkink. „Im Szenario sind bis zum Jahr 2030 ca. 14 Millionen und im Jahr 2045 ca. 35 Millionen elektrische PKW in Deutschland unterwegs.“ Im Schwerlastverkehr kommt ab dem Jahr 2030 verstärkt Wasserstoff zum Einsatz.

In der Industrie führen innovative Prozesstechnologien wie die wasserstoffbasierte Direktreduktion in der Stahlindustrie zu geringeren Emissionen. Effizienzsteigerungen reduzieren branchenübergreifend den Endenergieverbrauch. Durch strombasierte Technologien für Prozesswärme oder innovative Produktionsverfahren, beispielsweise in der Chemieindustrie, sinkt der Einsatz von fossilen Energieträgern.

Im Gebäudesektor verdoppelt sich im Szenario die energetische Sanierungsrate auf jährlich 1,9 Prozent. Ineffiziente Heizungen werden sukzessive ausgetauscht. Im Jahr 2030 werden in Wohngebäuden ca. 4,1 Millionen und im Jahr 2045 ca. 9 Millionen elektrische Wärmepumpen eingesetzt. Ab 2030 wird im Gebäudesektor Wasserstoff eingesetzt, zunächst im Rahmen einer Beimischung in die Verteilnetze. Bis zum Jahr 2045 steigt der Verbrauch auf 79 TWh, vor allem als direkte Nachfrage von wasserstofffähigen Gasheizungen.

Die Stromerzeugung wird bereits im Jahr 2040 nahezu klimaneutral

Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien verdoppelt sich auf etwa 475 TWh im Jahr 2030 und erreicht einen Anteil von 68 Prozent an der Bruttostromnachfrage. Durch eine marktgetriebene Beschleunigung des Kohleausstiegs sind im Jahr 2030 noch 8 GW Steinkohle und 4 GW Braunkohle am Markt. Im Szenario werden in der Folge ca. 15 GW Gaskraftwerkskapazität bis zum Jahr 2030 zugebaut. Gaskraftwerke übernehmen zunehmend eine Backupfunktion. Ab dem Jahr 2040 wird in diesen Kraftwerken überwiegend Wasserstoff eingesetzt. Aufgrund des Rückgangs der konventionellen Stromerzeugung wird Deutschland ab dem Jahr 2030 vom Netto-Stromexporteur zum Netto-Stromimporteur.

Abbildung 2: Nachfrage nach Wasserstoff und Folgeprodukten

Wasserstoff und Wasserstoff-Folgeprodukte sind von zentraler Bedeutung

Wasserstoff und synthetisches Power-to-Liquid (PtL) ermöglichen die Vermeidung von Emissionen vor allem bei Anwendungen, die nicht oder nur zu hohen Kosten elektrifiziert werden können. Dies betrifft beispielsweise die Bereitstellung von Hochtemperaturwärme in Industrieprozessen oder den Schwerlast- bzw. Flugverkehr.

Im Szenario entwickelt sich bereits in den 2020er Jahren eine schnell wachsende Wasserstoffwirtschaft. Im Jahr 2030 werden 66 TWh klimafreundlicher Wasserstoff eingesetzt. Davon werden ca. 10 TWh grüner Wasserstoff in Deutschland produziert, der Rest wird als blauer oder grüner Wasserstoff aus dem europäischen Ausland importiert. Im Jahr 2045 werden insgesamt 458 TWh grüner Wasserstoff nachgefragt. Sowohl die inländische Erzeugung als auch Importe nehmen deutlich zu. Langfristig wird Wasserstoff vor allem per Pipeline aus der EU, Nordafrika, Osteuropa (Russland und Ukraine) sowie der Türkei importiert.

Neben Wasserstoff wird Deutschland auch langfristig auf flüssige (ölbasierte) Energieträger angewiesen sein. Das bedeutendste Anwendungsfeld ist der Verkehrssektor. Dort werden bereits im Jahr 2030 ca. 3 TWh PtL-Kerosin eingesetzt. Auch im Jahr 2045 hat die Luftfahrt den größten Anteil. Hinzu kommt die Nachfrage nach flüssigen Kraftstoffen des Straßen-, Schienen- und Schiffsverkehrs sowie nach grünem Naphtha zur nichtenergetischen Nutzung in der Industrie. Im Jahr 2045 werden ca.198 TWh PtL-Energieträger eingesetzt. Aufgrund der vergleichsweise hohen Produktionskosten in Deutschland sowie der niedrigen Transportkosten werden diese aus dem mittleren Osten, Südamerika oder Australien importiert.

Abbildung 87: Brutto-Treibhausgasemissionen, CO2-Vermeidungsoptionen sowie technische und natürliche Senken im Jahr 2045

Deutschland ist 2045 mithilfe technischer und natürlicher Senken klimaneutral

Im Jahr 2045 verbleiben im Szenario noch etwa 87 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, die beispielsweise auf die Landwirtschaft und verbleibende Prozessemissionen in der Industrie zurückzuführen sind. Diese Emissionen werden beispielsweise durch technische CO2-Vermeidungsoptionen wie Abscheidung und Nutzung/Speicherung von Kohlendioxid (CCU/S) ausgeglichen. In Kombination mit dem Einsatz von Biomasse entsteht eine technische Senke (BECCU/S). Auch natürliche Senken (z. B. Wälder oder Moore) können für das Ziel der Netto-Klimaneutralität im Jahr 2045 angerechnet werden. Im Jahr 2045 erreichen diese eine Senkenleistung von 41 Millionen Tonnen CO2.

Kontakt

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Senior Research Associate
Arne Lilienkamp
Senior Research Associate
Michael Moritz
Senior Research Associate
Tobias Sprenger
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