Elektrofahrzeuge gelten als zentraler Bestandteil der zukünftigen Mobilität. Ein Hindernis ist die „Reichweitenangst“ – die Sorge, dass die Batterie nicht bis zum Ziel reicht. Doch diese Sorge ist oft unbegründet. Ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln hat Fahr- und Ladepräferenzen bei knapp 5000 Fahrten mittels einer Smartphone-App erhoben und untersucht. Das Ergebnis: Die untersuchten Fahrten übersteigen nur selten die Reichweite typischer Elektrofahrzeuge. Die mehr als 600 Teilnehmenden wünschen sich außerdem Lademöglichkeiten am Arbeitsplatz.
An dem Projekt waren neben dem EWI das IT-Unternehmen green|connector sowie die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung (DEW21), die Stadtwerke Karlsruhe und die Stadtwerke Lübeck beteiligt. In den jeweiligen Einzugsgebieten wurde eine eigens hierfür entwickelte Smartphone-App ausgerollt, mit deren Hilfe die Teilnehmenden ihre Wegstrecken ein Jahr lang minuten- und metergenau aufzeichnen konnten. Die App ermöglichte zudem den Abgleich der Ergebnisse mit derzeit erhältlichen Modellen von Elektrofahrzeugen. Die Teilnehmenden konnten so einschätzen, inwieweit sich das gewählte Fahrzeug-Modell mit ihren Mobilitätsbedürfnissen in Einklang bringen lässt. Für die Projektpartner waren die anonymisierten, hochaufgelösten Daten eine Quelle für Erkenntnisse im Hinblick auf zukünftige Systemauswirkungen und Geschäftsmodelle.
Im Datensatz zeigt sich, dass die Menschen, die die App genutzt haben, 83 Prozent der Fahrten von montags bis freitags aufzeichnen. Aus der räumlichen und zeitlichen Dimension der Daten lässt sich zudem ableiten, dass ein großer Teil der aufgezeichneten Fahrten dem Pendeln zum und vom Arbeitsplatz zuzurechnen ist. Die hierfür zurückgelegten Entfernungen betragen oftmals nur einige Kilometer (siehe Abbildung 1).
Die Teilnehmenden konnten in der App auch detaillierte Informationen zu ihren Ladepräferenzen angeben. Das identifizierte Pendlerprofil spiegelt sich hier deutlich wider: Insbesondere im Laufe des Tages, nach Ankunft am Arbeitsplatz, oder am Abend wollen sie ihre E-Autos laden. Hieraus lässt sich mit Hilfe von Zukunftsszenarien der Bedarf an Ladeinfrastruktur ableiten. In Abbildung 2 ist die Ladeleistung für eine typische Analyseregion im Jahr 2030 dargestellt. Abhängig vom konkreten Adoptionspfad von Elektrofahrzeugen werden zu Spitzenlastzeiten bereits hohe Ladeleistungen benötigt. Diese könnten die Energiesysteme insbesondere lokal vor große Herausforderungen stellen.
Im extrapolierten Ladeprofil zeigt sich das Zusammenspiel von zeitlichen und räumlichen Komponenten besonders stark. Am Abend ist die benötigte Ladeleistung hoch, insbesondere in Vororten oder auf dem Land. Noch höher ist die Lastspitze morgens, wenn der Arbeitsplatz erreicht wird. „Weil die Ankunftszeiten morgens geringer gestreut sind als die Ankunftszeiten abends, ist die Lastspitze morgens besonders stark“, sagt Arne Lilienkamp (Research Associate am EWI), der gemeinsam mit Philipp Artur Kienscherf, Karsten Schroer und Max Gierkink am Projekt beteiligt war. „Dadurch können insbesondere urbane Energiesysteme mit vielen Arbeitgebern belastet werden.“
Ob der Einfluss von Elektrofahrzeugen auf das Lastprofil tatsächlich die oben genannte Form annimmt, hängt stark von der Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur am Arbeitsplatz ab. Die Menschen, die die Smartphone-App genutzt haben, signalisieren jedenfalls deutliches Interesse, tagsüber am Arbeitsplatz nachzuladen. Für Energieversorger ergibt sich damit ein spannendes Geschäftsfeld: Auslegung und Betrieb privater Ladeinfrastruktur an Firmenstandorten. Auf Basis von Präferenzen von Mitarbeitenden können Ladestationen bedarfsgerecht dimensioniert werden. Auch für den stabilen Netzbetrieb ist das Laden am Arbeitsplatz interessant. Durch die langen Standzeiten ergeben sich große Flexibilitätspotentiale, die durch geeignete Regulierung und Geschäftsmodelle genutzt werden könnten.