EWI Insights: Das „Lade-Trilemma“ beim Smart Charging von Elektroautos

EWI Insights: Das „Lade-Trilemma“ beim Smart Charging von Elektroautos
23. Juni 2021 |

Das Laden von Elektroautos stellt die Stromnetze vor Herausforderungen. Doch Forschung und Praxis können das sogenannte Lade-Trilemma entschärfen. Ein Beitrag von Arne Lilienkamp und Wolfgang Ketter.

Die Anzahl der Elektrofahrzeuge muss in den nächsten zehn Jahren deutlich steigen, um die Klimaschutzziele zu erreichen – und wird sie wohl auch: Bundesregierung und „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ erwarten bis zum Jahr 2030 7 bis 14 Millionen Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen. Um die Herausforderungen, die sich daraus ergeben, und mögliche Lösungen ging es bei der Veranstaltung EWI Insights, moderiert von EWI-Manager Dr. Lukas Schmidt.

Das Trilemma mit dem Laden

„Deutlich mehr Elektroautos bedeuten deutlich mehr Ladevorgänge und dadurch deutlich mehr Stromnachfrage“, sagt Arne Lilienkamp, Research Associate am EWI. Aus den unterschiedlichen Anforderungen derjenigen, die Mobilität nutzen, und einer möglichst emissionsarmen Energieversorgung ergebe sich das sogenannte „Lade-Trilemma“:

  1. Elektrofahrzeuge reduzieren den CO2-Austoß besonders wirksam, wenn sie mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen geladen werden. Die Stromerzeugung aus Wind und Sonne ist jedoch wetter- und damit zeitabhängig.
  2. Der Hochlauf der Elektromobilität kann Probleme in den Verteilnetzen verursachen, wenn viele Ladevorgänge gleichzeitig stattfinden. Werden beispielsweise alle Elektrofahrzeuge abends gleichzeitig geladen, entstehen hohe Lastspitzen, die zu Netzengpässen und damit Ausbaubedarf im Verteilnetz führen.
  3. Es gibt individuelle Präferenzen: Alle möchten ihren Mobilitätsbedarf erfüllen können, ihre Fahrten also wie geplant antreten (und nicht aufgrund von Ladeschwierigkeiten erst drei Stunden später losfahren).

Um das Lade-Trilemma zu entschärfen, müssen drei verschiedene Dimensionen koordiniert werden: Stakeholder, Zeit und Raum.

Abbildung 1: Lade-Trilemma und Koordinationsaufgabe

Die Stakeholder lassen sich grundsätzlich in folgende Gruppen einteilen:

  1. Energieversorger
  2. Infrastrukturbetreiber (Netzbetreiber, Betreiber von Ladepunkten, Gebäudemanager)
  3. „Mobility First“-Stakeholder (Fahrzeughersteller, Mobilitätsanbieter, Endverbraucher)

Infrastrukturbetreiber möchten vor allem Investitionen refinanzieren und Lastspitzen vermeiden. Die „Mobility-First“-Stakeholder möchten hingegen primär, dass Endverbraucher so mobil sein können, wie sie möchten. Dabei kommt es zwischen den beiden Gruppen zu einem Interessenkonflikt.

Dieser zeigt sich aktuell etwa in der Debatte rund um das Thema Spitzenkappung und die Novellierung von §14a EnWG. Dieser Paragraf des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) regelt den Einsatz steuerbarer Verbrauchseinrichtungen in der Niederspannung. In einem ersten Entwurf der Novelle hieß es, Verteilnetzbetreibern solle die Möglichkeit eingeräumt werden, das Laden von Elektrofahrzeugen in maximal zwei Stunden pro Tag einzuschränken. Das Vorhaben stieß jedoch insbesondere bei Fahrzeugherstellern auf Kritik und wurde zunächst wieder verworfen.

Was Enten mit Elektroautos zu tun haben

Die zeitlichen und räumlichen Komponenten der Koordinationsaufgabe ergeben sich aus der (begrenzten) Verfügbarkeit von Strom aus Erneuerbaren; damit betreffen sie vor allem die Energieversorger. Deren Herausforderung wird am Konzept der sogenannten „Duck Curve“ („Entenkurve“) deutlich. Die „Duck Curve“ bildet die notwendige Erzeugungsleistung konventioneller Kraftwerke innerhalb eines Tages ab und spiegelt das Auseinanderfallen von Lastspitzen und der Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren wider. Namensgebend ist die markante Form, die an eine Ente erinnert.

Das Problem: Falls Elektrofahrzeuge ausschließlich am Eigenheim, zum Beispiel nach der Rückkehr von der Arbeit, geladen werden, steigt die Stromnachfrage dann an, wenn die Einspeisung aus Erneuerbaren, vornehmlich Sonne, bereits rückläufig ist. Dies macht schnelle zusätzliche konventionelle Erzeugung notwendig. Dies wirkt dem Ziel, Elektrofahrzeuge vor allem mit Strom aus Erneuerbaren zu laden, entgegen.

Abbildung 2: “Duck Curve” – Deutschland, 3. Juli 2019 (eigene Darstellung basierend auf [1])
Deshalb muss die Einspeisung an Strom aus Erneuerbaren und das Laden von Elektrofahrzeugen zeitlich zusammengebracht werden. Hierzu kann entweder die Erzeugung durch den Einsatz von Speichern verschoben werden, oder es wird vornehmlich dann geladen, wenn die Erneuerbaren ins Netz eingespeist werden. Während Ersteres Investitionen in Speicher erforderlich macht und hauptsächlich eine zeitliche Verschiebung bedeutet, hat Letzteres neben dem zeitlichen Aspekt auch eine räumliche Dimension. So befinden sich Elektrofahrzeuge von Pendler*innen tagsüber zum Beispiel bei der Arbeit oder an anderen markanten Punkten („Points of Interest“, z.B. Supermärkte).

Die räumliche Komponente wird durch Netzengpässe noch verschärft: Der systemoptimale Ladevorgang hängt davon ab, ob der Ladevorgang vor oder hinter einem Netzengpass, also in Regionen von Stromüberschuss oder -unterversorgung, durchgeführt werden soll. Wenn zu viel Strom zur Verfügung steht, ist zusätzliches Laden optimal, bei zu wenig Strom sollte möglichst wenig geladen werden.

Laden funktioniert nach unterschiedlichen Regeln

Die Interessen der verschiedenen Stakeholder sind allerdings nur auf den ersten Blick gegensätzlich. Die Wertschöpfungskette von „Smart Charging“ dockt an die energiewirtschaftliche Wertschöpfungskette an und schlägt eine Brücke zu den Nutzerpräferenzen. So ermöglicht sie es, Interessen miteinander abzustimmen. Hier spielt das Management des Ladeverhaltens („Smart Charging“) eine besonders wichtige Rolle.

Abbildung 3: Smart-Charging-Wertschöpfungskette

Smart Charging ist die Fähigkeit, Ladeverhalten an externe Signale anzupassen. Dies kann in drei Dimensionen geschehen: die Ladegeschwindigkeit („Load Shaping“), die Zeit des Ladens („Load Shifting“) und die Richtung des Ladens spielen jeweils eine Rolle. In der Praxis lässt sich beobachten, dass diese Dimensionen schon in unterschiedlichen Graden/Stufen umgesetzt sind. Die Wahl des Umsetzungsgrads hängt dabei vom jeweiligen Fall ab:

  • Stufe 1 entspricht dem regelbasierten Laden an individuellen Standorten. Hier wird offline geladen, also isoliert und ohne externe Signale. Die Gesamtlast eines Standorts wird gegen die Netzanschlussleistung inkl. Elektrofahrzeuge derart optimiert, dass die Netzanschlussleistung jederzeit eingehalten und damit Netzausbau vermieden wird.
  • In Stufe 2, dem präferenzbasierten Laden, werden die Präferenzen der Nutzenden gegen externe Signale, etwa den Preis, optimiert. Ein Beispiel sind sogenannte „Time of Use“-Tarife, die höhere Stromkosten in Zeiten vorsehen, in denen eine höhere Last erwartet wird. Daraufhin verschieben im Idealfall Nutzer*innen Ladevorgänge in (aus Netzsicht) weniger kritische Zeiträume. [2]
  • Die dritte Stufe stellt die vollständige Integration der Elektrofahrzeuge in das Energiesystem dar. Individuelle Elektrofahrzeuge werden aggregiert, nehmen am Energiemarkt teil und erbringen Systemdienstleistungen als oder in virtuellen Kraftwerken. Dabei werden die Speicherkapazitäten der Elektrofahrzeuge optimal genutzt. [3]

„Die Integration der Elektrofahrzeugflotte in das Gesamtsystem ist eine Koordinationsaufgabe. Um diese zu bewältigen, ist ein Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis wichtig“, sagt Prof. Wolfgang Ketter, Direktor am EWI und Inhaber des Lehrstuhls für „Information Systems for Sustainable Society“ an der Universität zu Köln. Dadurch könnten neue Geschäftsfelder entlang der Smart-Charging-Wertschöpfungskette identifiziert und erschlossen werden. Sie könnten dazu beitragen, das Lade-Trilemma zu entschärfen und die unterschiedlichen Interessen der beteiligten Stakeholder miteinander zu vereinbaren.

Kontakt

Arne Lilienkamp
Senior Research Associate