„Die Dekarbonisierung der Stromerzeugung ist ein wichtiger Schritt hin zur Klimaneutralität. Unsere Analyse zeigt, dass dafür eine umfassende Transformation des Kraftwerkparks auch über den geplanten Kohle- und Kernenergieausstieg hinaus nötig ist“, sagt EWI-Researcherin Berit Hanna Czock.
Gemeinsam mit ihrer Kollegin Lena Pickert hat Berit Hanna Czock bei der digitalen Veranstaltung EWI Insights am 7. Dezember Details aus dem Gutachterbericht des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) im Rahmen der „dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“ vorgestellt und über die Transformation des Gebäude-, Industrie- und Verkehrssektors sowie des Energiesystems gesprochen.
„Die Transformation der Endverbrauchssektoren Industrie, Verkehr und Gebäude ist eine besondere Herausforderung: Damit die sektoralen Ziele im Jahr 2030 und das erklärte Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 erreicht werden können, müssen die Klimaschutzambitionen in allen Sektoren deutlich beschleunigt werden”, sagt Lena Pickert. Dabei spielen neben der Erhöhung der Energieeffizienz und dem Einsatz innovativer Technologien auch Veränderungen im Konsum- und Mobilitätsverhalten eine wichtige Rolle.
In der Industrie werden derzeit oftmals fossile Energieträger wie Erdgas oder Kohle genutzt. Diese Energieträger werden im Szenario des EWI-Gutachterberichts vor allem durch Strom und Wasserstoff substituiert. „Dazu werden in der Studie sowohl Umstellungen auf innovative Prozesstechnologien und Steigerung der Energieeffizienz als auch Veränderungen der Produktionsmengen und höhere Recyclingquoten angenommen”, sagt Lena Pickert.
„Im Verkehrssektor ist ein Zusammenspiel aus technologischen und transformatorischen Ansätzen notwendig, um die Emissionen entsprechend zu reduzieren”, so Lena Pickert. Dabei spiele vor allem die Elektrifizierung im Personenverkehr eine entscheidende Rolle. Inlandsflüge und PKW-Verkehr werden im Szenario teilweise auf umweltfreundlichere Busse und Bahnen verlagert und der Anteil Elektrofahrzeuge stiege dann deutlich an. Für den Straßengüterverkehr, insbesondere für die Langstrecke, wird langfristig vermehrt Wasserstoff eingesetzte.
„Im Gebäudesektor ist ein umfassender Energieträger- und Heizungsanlagenwechsel sowie eine Verbesserung der energetischen Gebäudehülle notwendig, um die Ziele zu erreichen”, sagt Lena Pickert. In der Studie steigt die Sanierungsrate deutlich an. Öl- und gasbasierte Heizungsanlagen werden sukzessive reduziert. Wärmepumpen, Biomasseheizungen und Anschlüsse an Wärmenetze gewinnen hingegen an Bedeutung. Zudem wird angenommen, dass neuinstallierte Gasheizungen ab 2024 wasserstofffähig sind, sodass Wasserstoff auch in der Wärmeerzeugung langfristig eine gewisse Rolle spielt.
Insgesamt geht der Endenergiebedarf verglichen mit dem Jahr 2018 bis zum Jahr 2045 um 41 Prozent zurück. Strom würde dann zum wichtigsten Endenergieträger. Wasserstoff kommt im EWI-Szenario vor allem zum Einsatz, wo Strom keine Option zur Dekarbonisierung ist und wird zum zweitwichtigsten Endenergieträger.
Mit der steigenden Stromnachfrage aus den Endverbrauchssektoren wachsen die Anforderungen an den Kraftwerkspark, emissionsarmen Strom bereitzustellen. Grüner Strom ist außerdem die Basis für eine nationale Wasserstoffwirtschaft, die zumindest einen Teil der Nachfrage deckt. „Die installierte Leistung erneuerbarer Energien wird sich im Szenario des EWI bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppelt”, sagt Berit Czock. „Erneuerbare Energien erreichen dann einen Anteil von 68 Prozent an der Deckung der Bruttostromnachfrage.”
Gleichzeitig werde der Kohleausstieg marktgetrieben beschleunigt. Der Rückgang bei den Kohlekraftwerken werde teilweise kompensiert durch einen Zubau von Gaskraftwerken: Bis zum Jahr 2030 werden gegenüber 2019 15 GW zugebaut. Diese Kraftwerke sind so ausgelegt, dass sie bei Bedarf flexible Anteile von Wasserstoff verstromen können. Die Gasverstromung nimmt im Szenario zunächst deutlich zu, ab dem Jahr 2035 nehmen Gaskraftwerke im Zuge des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien zunehmend eine Backup-Rolle ein. Ab dem Jahr 2040 würde auch Wasserstoff verstromt. Aufgrund des Rückgangs bei der konventionellen Stromerzeugung könne Deutschland ab dem Jahr 2030 vom Netto-Stromexporteur zum Netto-Stromimporteur werden.
„Eine weitere wichtige Rolle komme Kohlenstoff-Senken zu. Denn verbleibende Restemissionen – vor allem aus dem Industrie- und dem Landwirtschaftssektor – werden im Szenario durch technische und natürliche Senken ausgeglichen. „Eine besondere Rolle spielen dabei Wälder und anderen natürliche Senken”, so Berit Czock. Diese sollen der Atmosphäre im Jahr 2045 insgesamt 41 Mt CO2-Äquivalente entziehen. Damit können sie die Restemissionen des Landwirtschaftssektors, die z.B. aus der Tierhaltung und Nutzung von Düngemitteln entstehen, nahezu ausgleichen. Zum Aufbau und Erhalt der natürlichen Senkenleistung, so das Ergebnis einer vom Öko-Institut durchgeführten Analyse, müssen Wälder und andere natürliche Senken geschützt und klimawandel-resistent umgebaut werden.