Wenn die Nachfrage nach Erdgas weiterhin sinkt, könnte der Erdgasmarkt in Deutschland mittelfristig flexibel auf Störungen der Erdgasversorgung reagieren. Zu diesem Ergebnis kommt das EWI in einer umfassenden Modellierung von möglichen Störungen des europäischen Gasmarkts. Zwar käme es kurzfristig zu teils starken Preiserhöhungen. In allen betrachteten Szenarien würde sich der Markt jedoch erholen und im 10-Jahres-Zeitraum größtenteils das Vorkrisenniveau erreichen. Die modellierten Risiken umfassen sowohl Ausfälle von Pipelines als auch die Verknappung von Flüssiggas (LNG).
Das zeigt das Gutachten „Untersuchung der Resilienz der Erdgasversorgung“, das ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) gemeinsam mit der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC, Prognos und der Deutschen Energie-Agentur (dena) für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz verfasst hat. In sieben Szenarien und zusätzlichen Sensitivitäten hat das EWI mit den Modellen COLUMBUS und TIGER den globalen Gasmarkt und die europäische Gasinfrastruktur untersucht, unter anderem mit Fokus auf die Preisentwicklung.
In einem Basisszenario wurde der Erdgasmarkt ohne Störungen modelliert. Im Jahr 2025 könnte der Erdgaspreis in Deutschland im Jahresdurchschnitt dann bei knapp 40 EUR/MWh liegen. Ab 2030 sinkt der Erdgaspreis im Basisszenario aufgrund der sinkenden Erdgasnachfrage im Rahmen der angestrebten Klimaneutralität auf unter 30 EUR/MWh. In Risikoszenarien wurde ein plötzlicher Ausfall von Pipelinegas aus dem Norden und Süden oder eine Verknappung des LNG-Angebots untersucht. In diesen Situationen könnte der Preis auf zwischenzeitlich mehr als 60 EUR/MWh im Durchschnitt steigen. Dieses Preisniveau könnte dazu führen, dass der Erdgasverbrauch in Deutschland um bis zu 6 Prozent sinkt.
Im Jahr 2030 läge der Preis in Deutschland in den untersuchten Szenarien wieder größtenteils auf dem Niveau des Basisszenarios ohne Ausfall. „Das liegt vor allem daran, dass die Nachfrage aufgrund der Energiewende insgesamt sinkt und die ausgefallene Infrastruktur in den Szenarien zum Teil wieder aufgebaut würde“, sagt Dr.-Ing. Ann-Kathrin Klaas, Head of Research Area am EWI, die das Gutachten von Seiten des EWI zusammen mit Michaele Diehl, Jan Hendrik Kopp, Michael Moritz, Carina Schmidt, Tobias Sprenger und David Wohlleben verfasst hat.
Die Analyse zeigt, dass der deutsche Gasmarkt mit dem globalen LNG-Markt gekoppelt ist und sensitiv auf Ausfälle bei der LNG-Versorgung reagieren könnte. Die größten Versorgungsengpässe und Preissteigerungen fänden statt, wenn es zu einer Verknappung des globalen LNG-Angebots käme. In diesem Szenario können die ausfallenden Mengen nicht vollständig über pipelinegebundenes Gas ersetzt werden. Fallen Pipelines im Norden oder Süden aus, führt dies in den Szenarien nur zu moderaten Auswirkungen. Der Grund dafür ist, dass ein Teil des Gases durch verbleibende Pipelines umgeleitet werden könnte und der Rest über LNG-Importe gedeckt werden könnte.Die zusätzliche Analyse der innereuropäischen Infrastruktur zeigt, dass sich die Flussrichtungen der Erdgasversorgung in Europa im Falle einer Störung erheblich ändern könnten. Schon durch den Wegfall russischer Gaslieferungen würde im Vergleich zur Vergangenheit vermehrt Erdgas aus Norwegen oder Nordafrika nach Südosteuropa weitergeleitet. „Bei zusätzlichen Störungen von Import- oder Transportwegen könnte die Kapazität für den Transit quer durch Europa knapp werden. Um diese Frage mit aktuellen Daten zu untersuchen, kann eine gute Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten hilfreich sein“, sagt Klaas.
Die Analyse der Resilienz basiert auf der gekoppelten Modellierung des globalen Erdgasmarktes und der europäischen Erdgasinfrastruktur. Ein Basisszenario legt zunächst zentrale Annahmen, etwa die Erdgasnachfrage, anhand einer Bestandsaufnahme der aktuellen Märkte fest. Auf dieser Basis zeigen die Risikoszenarien die Auswirkungen verschiedener theoretischer Störungen der Erdgasversorgung. Im Anschluss an die Modellierung wurde von PwC die Bewertung der Resilienz und die Ableitung von Handlungsempfehlungen vorgenommen.