Im Rahmen des Legislativpakets „Fit for 55“ soll das Klimaziel der Europäischen Union von 40 auf 55 Prozent bis zum Jahr 2030 verschärft werden. Gleichzeitig enthält der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zahlreiche Maßnahmen, um die nationalen Klimaschutzziele zu erreichen. Im Jahr 2030 soll beispielsweise ein Anteil von 80 Prozent erneuerbarer Energien an der Bruttostromnachfrage erreicht werden, zuvor lag der Zielwert bei 65 Prozent. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) zeigt in einer neuen Analyse, wie sich der Stromsektor bis zum Jahr 2038 entwickeln könnte, wenn die europäischen und nationalen Ziele gleichermaßen erreicht werden.
Das „Fit for 55“-Paket sieht unter anderem umfangreiche Anpassungen im europäischen Emissionshandel vor. Die Preise für Emissionszertifikate könnten in der Folge bis zum Jahr 2038 auf rund 130 EUR/t CO2e steigen. Gleichzeitig würde die Erzeugung aus Erneuerbaren und Gaskraftwerken deutlich ansteigen. Im Hauptszenario (FF55_EE80) der Analyse geht die Stromerzeugung aus Kohle bis zum Jahr 2030 auf lediglich 14 TWh zurück. Bis zum Jahr 2035 findet im Modell ein marktgetriebener Kohleausstieg statt.
Zum Vergleich: Im Referenzszenario (OK40_EE65) ohne europäische Klimazielverschärfung und mit einem geringeren Ausbau der erneuerbaren Energien erfolgt der Kohleausstieg erst im Jahr 2038.
Zur Kompensation der frühzeitigen Stilllegungen von Kohlekraftwerken werden bereits bis zum Ende der 2020er Jahre substanzielle Mengen an neuen (wasserstofffähigen) Gaskraftwerken benötigt. Die installierte Leistung steigt von 32 GW im Jahr 2019 auf etwa 47 GW im Jahr 2030. Zusätzlich steigt der Bedarf an Flexibilitätsoptionen, z.B. in Form von neuen Batteriespeichern, um 6 GW auf etwa 16 GW.
In den Berechnungen verbleiben im Jahr 2030 noch Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 10 GW, diese erfüllen ab Ende der 2020er Jahre primär eine Backup-Funktion. Die Bundesregierung möchte den Kohleausstieg laut Koalitionsvertrag „idealerweise“ auf das Jahr 2030 vorziehen. Ausgehend vom Jahr 2019 würden dann rund 25 GW Steinkohle und 21 GW Braunkohle stillgelegt. Für einen vorgezogenen Ausstieg würden demnach zusätzliche Gaskraftwerke oder Flexibilitätsoptionen benötigt werden, um ausreichend gesicherte Kraftwerksleistung vorzuhalten.
Die deutsche Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag die Ziele für den Ausbau Erneuerbarer deutlich erhöht. Für Photovoltaik wird eine Gesamtkapazität von 200 GW im Jahr 2030 angestrebt. Dies entspricht einer Verdoppelung der bisherigen Zielsetzung des EEG 2021. Wind-Offshore-Kapazitäten sollen auf 30 GW ausgebaut werden – das 1,5-Fache des bisherigen Ziels. Aus den Modellrechnungen ergibt sich für Wind Onshore ein Ausbau auf etwa 89 GW. Im EEG 2021 waren bisher 71 GW als Ziel definiert.
Neben der Erzeugung aus Erneuerbaren steigt im Szenario auch die Gasverstromung. Diese wäre im Jahr 2030 mit 104 TWh etwa doppelt so hoch wie 2019. Deutschland erreicht in der Folge – trotz steigender Stromnachfrage – eine etwa ausgeglichene Stromhandelsbilanz. Aufgrund von steigenden EU-ETS- und Gaspreisen steigen auch die Strompreise. Der durchschnittliche Großhandelspreis könnte von 38 EUR/MWh im Jahr 2019 auf 82 EUR/MWh im Jahr 2025 ansteigen.
Ein Vergleich zum Szenario (FF55_EE65) mit europäischer Klimazielverschärfung und einem geringeren Ausbau erneuerbarer Energien zeigt, dass ein geringerer Ausbau zu einer erhöhten Gasverstromung, steigenden Stromimporten und höheren Strompreisen führen würde.
„Sofern die Umsetzung der europäischen und nationalen Zielvorgaben gleichermaßen gelingt, könnten die Treibhausgasemissionen im Energiesektor in den 2020er Jahren deutlich zurückgehen und auf 88 Mt CO2e im Jahr 2030 absinken. Das sektorale Klimaziel von 108 Mt CO2e würde in diesem Fall deutlich unterboten“, sagt Max Gierkink, Manager am EWI.