Je weniger Gas die EU künftig aus Russland importiert, desto stärker wäre sie auf den Import von Flüssig-Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) aus anderen Ländern angewiesen. Pipelinegebundene Importe aus Norwegen, Nordafrika und Aserbaidschan in die EU lassen sich hingegen nur noch in begrenztem Umfang steigern. Die Reduktion der Gasnachfrage durch Elektrifizierung, Effizienzgewinne und Produktion von Biomethan als Erdgas-Substitut bis 2030 ist wesentlicher Hebel für die Entwicklung der Gaspreise. Die Entwicklung der globalen Gasmärkte bis zum Jahr 2030 hinsichtlich der Unsicherheiten bei der Gasversorgung und -nachfrage hat das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) in der Studie „Entwicklungen der globalen Gasmärkte bis 2030 – Szenarienbetrachtung eines beschränkten Handels mit Russland“ im Auftrag von Zukunft Gas e.V. untersucht.
Die Analyse umfasst sechs Szenarien, in denen Nachfrage- und Angebotsunsicherheiten kombiniert werden. Auf der Angebotsseite wird die Verfügbarkeit von russischem Erdgas für eine Gruppe von Ländern (EU sowie weitere europäische, nordamerikanische und asiatische Länder) variiert. Der Gashandel zwischen dieser „Länderkoalition“ und Russland ist in den Szenarien entweder uneingeschränkt, teilweise eingeschränkt (maximal 20 Prozent der Gesamtimporte jedes Mitglieds dieser Gruppe aus Russland) oder vollständig eingeschränkt. Auf der Nachfrageseite wird hohe und niedrige globale Nachfrage nach Erdgas unter Berücksichtigung der Klimaziele modelliert.
Die Verfügbarkeit von LNG auf dem Weltmarkt ist begrenzt. Die USA könnten LNG allerdings in großem Umfang zur Verfügung stellen und Russland als ehemals größten Gaslieferanten der EU ablösen. Sollte es keinen Gashandel zwischen Russland und der EU geben, könnten laut Studie je nach Szenario bis zu 136 Mrd. Kubikmeter US-amerikanisches LNG (entspricht bis zu 90 Prozent der Gasimporte aus Russland in 2021) im Jahr 2030 in die EU importiert werden. Die zweitwichtigste Bezugsoption der EU für LNG bliebe dann Katar. „Ohne Gasimporte aus Russland könnte LNG aus den USA bis 2030 bis zu 40 Prozent der Gesamtimporte der EU ausmachen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Verflüssigungsprojekte in den USA“, sagt Dr. Eren Çam, Manager am EWI, der die Studie zusammen mit Jan Kopp, Hendrik Diers und Michael Moritz erstellt hat.
Laut der Studie könnten die weltweiten Verflüssigungskapazitäten gegenüber heute um bis zu zwei Drittel auf mehr als 1.050 Milliarden Kubikmeter pro Jahr wachsen. Mehr als ein Drittel der neuen Kapazitäten könnte in den USA entstehen. Die Realisierung von Verflüssigungsprojekten in den USA ist eine zentrale Voraussetzung für mehr LNG-Importe aus den USA. Da die Erdgasnachfrage in Europa vor dem Hintergrund von Klimaschutzanstrengungen und Emissionszielen mittel- bis langfristig abnehmen sollte, bestehen jedoch erhebliche Unsicherheiten, ob diese Investitionen tatsächlich realisiert werden: „Der Bau von Verflüssigungskapazitäten ist aufwendig und teuer. Investoren warten daher üblicherweise auf längerfristige Zusicherungen“, sagt Çam.
Im Zuge der Studie hat das EWI ebenfalls die mögliche Entwicklung der Regasifizierungskapazitäten in Europa untersucht. Zeitlich erfolgt der Zubau in den verschiedenen Szenarien vornehmlich bis zum Jahr 2026. „Kurzfristig beschaffte schwimmende Regasifizierungsterminals wie in Eemshaven, Alexandroupolis und an der deutschen Küste sowie weitere, bereits beschlossene Projekte könnten insgesamt für Erleichterung sorgen“, sagt Eren Çam. „Der Flaschenhals für den LNG-Handel in Europa besteht vielmehr auf der Seite der weltweiten Verflüssigungskapazitäten als in den europäischen Regasifizierungsanlagen.“
Ginge die Gasnachfrage bis zum Jahr 2030 um 20 Prozent gegenüber 2021 zurück, könnten sich Großhandelspreise auf dem Niveau von 2018 einstellen – unabhängig davon, ob der Gashandel mit Russland beschränkt ist oder nicht. Die Nachfragereduktion durch Elektrifizierung, Effizienzgewinne und Produktion von Biomethan als Erdgas-Substitut entspannt in den Szenarien den europäischen Gasmarkt. Bliebe die Nachfrage in der EU auf dem Niveau von 2021 ohne Gashandel mit Russland, könnten die Gaspreise 2030 oberhalb des Niveaus von 2021 liegen.