Bei grünem Wasserstoff könnte Deutschland auch künftig von Energieimporten abhängig sein, zeigen zahlreiche Analysen. Um dennoch die resiliente Versorgung des Energiesystems zu gewährleisten, könnten Wasserstoffspeicher im Umfang von 165 TWh benötigt werden. So ließe sich der Verbrauch auch ohne Importe für mehrere Monate decken.
In der Analyse „Resilienz im klimaneutralen Energiesystem der Zukunft“ betrachtet ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) die derzeit in Deutschland vorhandenen Speicherkapazitäten pro Energieträger und ermittelt die so genannte Importresilienz des Energiesystems. Die Importresilienz ist dabei die Zeit, in der die Versorgung mit Energie auch bei einem Importstopp gesichert wäre. Unter Annahme einer gleichbleibenden Resilienz wurden anhand der dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“, für die das EWI das Hauptgutachten erstellt hat, die benötigten Speicherkapazitäten in einem klimaneutralen Energiesystem der Zukunft berechnet. Die Analyse wurde im Auftrag des Vereins UTV – Unabhängiger Tanklagerverband e.V. (Mitglied im MEW – Mittelständische Energiewirtschaft Deutschland e.V.) erstellt und durch EWI-Forscher Maximilian Walde in Berlin vorgestellt.
In Deutschland wird die Energiesystemresilienz derzeit unter anderem durch die Speicherung fossiler Energieträger wie Mineralöl, Gas und Steinkohle gewährleistet. Insbesondere Mineralöl wird für den Verbrauch mehrerer Monate bevorratet. Die Bevorratung fossiler Energieträger erfolgt unter anderem auf Basis gesetzlicher Vorgaben. So ergibt sich in der Analyse, abhängig von der Jahreszeit, eine gesamte gespeicherte Energiemenge von 722 TWh (Mineralöl 509 TWh, Gas 169 TWh und Steinkohle 44 TWh), dies entspricht in etwa einem Drittel des deutschen Endenergieverbrauchs. Strom und Wärme werden mit 0,3 TWh und 0,1 TWh in relativ geringem Maße gespeichert und spielen für eine Resilienzbetrachtung nur eine untergeordnete Rolle.
Mit angenommenen Energieverbräuchen aus dem Jahr 2021 würde sich mit den ermittelten Energiereserven in den Verbrauchssektoren je nach Betrachtungsweise ein Resilienzniveau von ca. 50 bis 100 Tagen einstellen. Bei Mineralöl zeigt sich in dieser Betrachtung ein relativ hohes Resilienzniveau aufgrund der gesetzlichen Vorgaben. Dadurch kann die Versorgung mit Mineralöl auch ohne Importe mehrere Monate gedeckt werden.
Zur Betrachtung der Resilienz in einem klimaneutralen Energiesystem im Jahr 2045 wurde in der Analyse eine gleichbleibende Resilienz in den Verbrauchssektoren angenommen. Für den künftigen Energiemix wurde innerhalb der Berechnungen das Szenario KN100 der dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ zugrunde gelegt.
Insgesamt könnte der Bedarf an gespeicherter Energie aufgrund von Effizienzsteigerungen und erhöhter inländischer Energieträgerbereitstellung in den Modellrechnungen von 722 TWh im Status Quo um 73 Prozent auf 196 TWh im Jahr 2045 sinken. Durch den im Szenario angenommenen Wegfall von Mineralölproduktionskapazitäten würde der Speicherbedarf einzelner Energieträger aber teils deutlich steigen, so bspw. für klimaneutrales Kerosin und Rohbenzin. Die deutlichste Änderung ergäbe sich durch den Eintritt von klimaneutralem Wasserstoff in das Energiesystem. Mit 107 TWh an neuer benötigter gespeicherter Energie würde dieser im Szenario mehr als die Hälfte des zukünftigen Bedarfs an Energiespeicherung ausmachen. Unter Annahme von durchschnittlichen Speicherfüllständen wie im Status Quo ergäbe sich eine benötigte Speicherkapazität von 165 TWh für Wasserstoff.
„Wasserstoff weist im Vergleich zu Erdgas eine deutlich geringere volumetrische Energiedichte auf. Daher würde eine Umrüstung der bestehenden Gaskavernenspeicher zur Deckung der benötigten Speicherkapazität für Wasserstoff nicht ausreichen“, sagt Philipp Artur Kienscherf, Head of Research Area am EWI, der die Analyse gemeinsam mit Maximilian Walde und Jakob Junkermann erstellt hat.
Im Vergleich zu anderen Studien weist die Analyse teilweise einen deutlich höheren Bedarf an Speicherkapazität aus. Dieser Unterschied ist vor allem durch die explizite Untersuchung der Resilienz zu erklären. „Das gesellschaftlich erwünschte Resilienzniveau hängt sowohl von individuellen als auch politischen Überlegungen ab und kann sich in Zukunft verändern“, so Kienscherf. „Wird ein sich wandelnder Energieträgermix erwartet, kann es außerdem sinnvoll sein, bisherige gesetzliche Vorgaben für Mineralöl und Gas zu adaptieren, um eine strategische Energiereserve mit den dann vorherrschenden Energieträgern zu gewährleisten.“