Die Verschärfung des europäischen Klimaziels könnte zu einem deutlichen Anstieg der CO2-Preise im europäischen Emissionshandel und somit zu einer frühzeitigen, marktgetriebenen Reduktion der deutschen Stromerzeugung aus Kohle führen. Während die Steinkohleverstromung bereits bis zum Jahr 2030 weitgehend zum Erliegen kommen könnte, spielt auch die Braunkohleverstromung nach 2030 nur noch eine untergeordnete Rolle im deutschen Strommix. Der Rückgang der Erzeugung aus Kohlekraftwerken führt zu einem deutlichen Rückgang der Treibhausgasemissionen. Das sektorale Klimaziel 2030 des deutschen Energiesektors würde mit 156 Mio. tCO2-Äq deutlich unterschritten.
Hintergrund ist, dass die EU ihr Klimaziel für das Jahr 2030 verschärft: Statt der bisher geplanten Reduktion von 40 Prozent soll ein Minus von 55 Prozent für das Jahr 2030 gegenüber dem Jahr 1990 erreicht werden. Die Analyse „Auswirkungen einer Verschärfung der europäischen Klimaziele auf den deutschen Strommarkt“ des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln zeigt die Auswirkungen der Klimazielverschärfung auf den Kraftwerkspark, die Stromerzeugung, die Großhandelsstrompreise und das sektorale Klimaziel der Energiewirtschaft in Deutschland im Jahr 2030.
Die Analyse basiert auf zwei Szenarien. Auf Basis einer modellbasierten Abbildung des europäischen Emissionshandels werden mögliche CO2-Preisentwicklungen berechnet. Beim ursprünglichen Klimaziel würde der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel auf 73 €/tCO2-Äq im Jahr 2038 steigen. Mit dem verschärften Klimaziel könnte der Preis hingegen im gleichen Zeitraum auf 85 €/tCO2-Äq steigen. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 lag der durchschnittliche Preis bei ca. 25 €/tCO2-Äq.
Die steigenden Preise für Emissionszertifikate erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit von Gaskraftwerken gegenüber den verbleibenden Kohlekraftwerken, deren Betrieb durch den höheren CO2-Preis weniger rentabel wird. In der Modellrechnung ergibt sich daher in den kommenden Jahren in Deutschland ein stärkerer Zubau von effizienten Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken (GuD-Kraftwerken) von derzeit 24 GW auf bis zu 35 GW im Jahr 2038.
Der Betrieb von Gaskraftwerken würde im Verhältnis zum Betrieb von Kohlekraftwerken günstiger. In Deutschland würde zukünftig mehr Strom aus Gas erzeugt, im Szenario mit Klimazielverschärfung bis zu 172 TWh im Jahr 2033 (2019: 89 TWh). Steinkohle hingegen würde deutlich weniger genutzt und bis zum Jahr 2030 fast vollständig auslaufen. Auch die Erzeugung von Strom aus Braunkohle würde deutlich reduziert: bis zum Jahr 2030 auf 32 TWh und bis zum Jahr 2035 auf 8 TWh (2019: 108 TWh). Der Rückgang der Stromerzeugung aus Kohle wird neben Gaskraftwerken durch einen angenommen ambitionierten Ausbau der Windenergie und Photovoltaik auf 242 GW (2019: 104 GW) im Jahr 2030 kompensiert.
„Das verschärfte Klimaziel der EU könnte marktgetrieben zu einem schnelleren Rückgang der Kohleverstromung führen“, sagt Max Gierkink, Manager am EWI, der die Analyse zusammen mit Michael Wiedmann, Konstantin Gruber und Martin Hintermayer erstellt hat. „Dadurch könnte die Stromerzeugung aus Kohle bereits vor dem geplanten Ausstieg im Jahr 2038 fast vollständig aus dem Markt gedrängt werden.“
Der Rückgang der Stromerzeugung durch Stein- und Braunkohlekraftwerke führt speziell im Szenario mit Klimazielverschärfung zu einem deutlichen Rückgang der Emission von Treibhausgasen. Der beschleunigte Rückgang der Kohleverstromung wird jedoch teilweise durch einen Anstieg der Gasverstromung und den damit verbundenen Emissionen kompensiert. In der Modellrechnung wird das deutsche sektorale Klimaziel des Energiesektors von 175 Mio. tCO2-Äq im Jahr 2030 mit 156 Mio. tCO2-Äq deutlich unterschritten.