Die Versorgungssicherheit im Strommarkt kann in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2030 auch bei einem vollständigen Kohleausstieg gewährleistet werden – wenn die politischen Ziele für den Zubau von Erzeugungs- und Netzkapazitäten planmäßig realisiert werden. Falls die Ausbauziele jedoch verfehlt werden sollten, könnte es sowohl im Strommarkt als auch bei der physischen Übertragung von Strom zu Engpässen kommen. Dies könnte regionale wie nationale Versorgungslücken zur Folge haben.
In der Studie „Versorgungssicherheit für NRW im Jahr 2030“ untersucht das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) an der Universität zu Köln im Auftrag der Industrie- und Handelskammer Nordrhein-Westfalen (IHK NRW) die Versorgungssicherheit in Deutschland und Nordrhein-Westfalen mittels modellbasierter Szenariorechnungen. Betrachtet werden die marktliche Seite, also energetische Deckung der gesamtdeutschen Stromnachfrage, sowie die netzseitige Versorgungssicherheit, also eine Marktsimulation unter Berücksichtigung von Netzrestriktionen.
In der Studie wird der Hochlauf von erneuerbaren Energien in drei Szenarien eines Strommarktmodells simuliert, hinzu kommen drei Szenarien zum Hochlauf von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Die Strommarktsimulation analysiert die insgesamt neun möglichen Szenarien für versorgungskritische Zeiträume. Die Bundesregierung sieht laut Koalitionsvertrag vor, den Kohleausstieg in Deutschland „idealerweise auf 2030“ vorzuziehen. Sollte es hierzu kommen, würden die aktuell in der „Eckpunktevereinbarung für den Kohleausstieg 2030“ geplanten Zubaumengen an wasserstofffähigen Gaskraftwerkskapazitäten von 3 GW in den Szenarien nicht ausreichen, um die angenommene Bruttostromnachfrage von rund 720 TWh zu decken.
Aufgrund der auch im Jahr 2030 noch limitierten Möglichkeiten zur Stromspeicherung wären die berechneten Versorgungslücken von bis zu 16 GW nahezu unabhängig von der Hochlaufgeschwindigkeit erneuerbarer Energien (EE), welche in kalten Dunkelflauten nur in geringem Maße zur Verfügung stehen. Wenn sich jedoch die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bereits angekündigten Kapazitäten von wasserstofffähigen Gaskraftwerken in Höhe von 25 GW bis zum Ende des Jahrzehnts realisieren würden, könnte der nationale Strommarkt auch bei längeren kalten Dunkelflauten Versorgungssicherheit gewährleisten. Ohne signifikanten Netzausbau könnten allerdings lokale Versorgungslücken entstehen.
Für das Szenario mit einem EE-Ausbau gemäß des Erneuerbare-Energien-Gesetzes EEG-2023 sowie einem Zubau von 25 GW Gaskraftwerkskapazitäten wurden zudem Marktsimulationen unter Berücksichtigung von Netzrestriktionen durchgeführt. Diese erlauben eine regionalisierte Analyse der Versorgungssicherheit. Unter der Prämisse eines Netzausbaus nach dem aktuellen Netzentwicklungsplan könnte die vom EWI angenommene Bruttostromnachfrage im Jahr 2030 zu jedem Zeitpunkt an jedem Netzknoten bedient werden. Sollten jedoch systemrelevante Leitungsprojekte, insbesondere die Nord-Süd-Trassen, nicht rechtzeitig fertiggestellt werden, könnten lokale Versorgungslücken im Süden und Westen Deutschlands drohen. Darüber hinaus könnten die ohnehin hohen Anpassungsmaßnahmen zur Behebung von Netzengpässen mit verzögertem Netzausbau weiter ansteigen.
Philipp Artur Kienscherf, Senior Research Consultant am EWI, sagt: „Aufgrund langwieriger Planungs- und Genehmigungsverfahren besteht bei manchen Marktteilnehmern Unsicherheit über die rechtzeitige Fertigstellung einiger Projekte. Um Versorgungssicherheit auch künftig gewährleisten zu können, sind zeitnahe Investitionen in das Energiesystem erforderlich.“ Vor diesem Hintergrund erarbeitet das EWI für die IHK NRW ein Monitoring, welches die Entwicklung systemrelevanter Kenngrößen in NRW im Zeitverlauf nachhält und fortlaufend aktualisiert.