CO2-armer Wasserstoff ist eine entscheidende Planungsgröße in den Klimaneutralitätsszenarien für Deutschland. Doch bei den derzeit projizierten Kosten des neuen Energieträgers würden sich viele der in den Szenarien unterstellten Anwendungen nicht rechnen. Die entsprechende theoretische Finanzierungslücke liegt in einer mittleren Preisentwicklung bei 2-10 Milliarden Euro für das Modelljahr 2030 und bei 30-100 Milliarden Euro für das Modelljahr 2045, wie das EWI in einer neuen Hochrechnung zeigt.
In der Kurzstudie „The financing gap in the hydrogen market ramp-up: analysis of demand and price scenarios“ bewertet ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln die Wirtschaftlichkeit der möglichen Nutzung des Energieträgers Wasserstoff in den Jahren 2030 und 2045. Grundlage der Untersuchung ist ein Greenfield-Kostenvergleich von Wasserstoff-Anwendungen und konventionellen Verfahren in den Sektoren Industrie, Verkehr, Strom und Gebäude. Die Analyse wurde von Dr.-Ing. Ann-Katrin Klaas, Merit Dressler, Felix Schäfer und Dr. David Strake im Rahmen des „Forschungsprogramms Wasserstoff“ des EWI durchgeführt und von der Gesellschaft zur Förderung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln e. V. finanziell unterstützt.
Den Ausgangspunkt der Kurzstudie bilden die Annahmen zum anwendungsspezifischen Jahresbedarf an Wasserstoff in drei Szenarien. Die Szenarien beschreiben mögliche Wasserstoffbedarfe, die auf Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 ausgerichtet sind. Für jede der Anwendungen wird im Rahmen einer groben Break-even-Analyse ermittelt, bis zu welchem Wasserstoff-Preis die Nutzung des neuen Energieträgers wirtschaftlich günstiger als die Nutzung herkömmlicher Energieträger ist. Dabei werden auch CO2-Preise, Maut, Steuern und die Treibhausgasminderungsquote berücksichtigt. Diese Maßnahmen erhöhen den Break-even-Preis und wirken damit dämpfend auf die Finanzierungslücke einzelner Anwendungen.
Die in der Kurzstudie ermittelten Break-even-Preise für Wasserstoff liegen für fast alle betrachteten Anwendungen und Jahre unterhalb der derzeit vermuteten zukünftigen Marktpreise für den neuen Energieträger. Multipliziert mit den in den Klimaneutralitätsszenarien unterstellten Wasserstoff-Bedarfen ergibt sich eine hochgerechnete theoretische Finanzierungslücke. „Die von uns ermittelte Finanzierungslücke weist darauf hin, dass die in den Klimaneutralitätsszenarien beschriebene Wasserstoffnachfrage der Voraussetzung unterläge, dass die Nutzung dieses Energieträgers künftig bezuschusst werden würde“, sagt Dr.-Ing. Ann-Kathrin Klaas, Project Lead am EWI. „Dabei vergleichen wir so genannte Greenfield-Investitionen, also komplette Neubauten auf einer fiktiven grünen Wiese. Unsere Ergebnisse der Finanzierungslücke stellen in diesem Sinne eine untere Grenze dar, denn in der Realität dürften neue Wasserstoffprojekte häufig mit einem fossilen Bestand konkurrieren.“
Die Finanzierungslücke wird in der Kurzstudie für insgesamt neun unterschiedliche Preisszenarien berechnet. Die Analyse zeigt, dass steigende Preise für fossile Brennstoffe und CO2-Emissionen den Break-even-Preis erhöhen und so die Finanzierungslücke verringern. Im für Wasserstoff-Anwendungen besonders vorteilhaften Fall hoher fossiler und niedriger Wasserstoff-Preise ergibt sich im Rahmen der in der Kurzstudie betrachteten Szenarien noch eine Finanzierungslücke von rund 20 Milliarden Euro im Jahr 2045. Im entgegengesetzten Szenario mit hohen Wasserstoff-Preisen und günstiger fossiler Konkurrenzenergie wächst die Finanzierungslücke für das Jahr 2045 hingegen in die Größenordnung von 50-200 Milliarden Euro. „Den größten Einfluss auf die Höhe der von uns errechneten Finanzierungslücke hat der unbekannte zukünftige Wasserstoffpreis“, sagt Klaas.
Neben dem Emissionshandel sowie den bestehenden Maßnahmen für Raffinerien und den Transportsektor sind weitere Regularien aktuell in der Diskussion oder der Umsetzung, um den Wasserstoff-Hochlauf zu unterstützen. Hierzu gehören insbesondere die Renewable Energy Directive III, das Konzept „Grüne Leitmärkte“ sowie das Instrument der Klimaschutzverträge. „Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang diese Maßnahmen die Finanzierungslücke werden reduzieren können”, sagt Klaas.