Es ist fragwürdig, ob das aktuelle Strommarktdesign das heutige Niveau an Versorgungssicherheit künftig noch garantieren kann. Denn der Rückgang der konventionellen Erzeugung, bei gleichzeitigem Ausbau dargebotsabhängiger erneuerbarer Energien, stellt den Markt vor Herausforderungen. Zu diesem Ergebnis kommt das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) in einer neuen Studie im Auftrag des Zukunft Erdgas e.V. Das EWI diskutiert darin, vor welche Herausforderungen das aktuelle Strommarktdesign zur Gewährleistung der langfristigen Versorgungssicherheit gestellt wird.
Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, den Ausstieg aus der Kernenergie sowie die Einführung verschiedener (Netz-)Reserveinstrumente sind die konventionellen Erzeugungskapazitäten in den letzten Jahren zurückgegangen. Aufgrund der Pläne für einen beschleunigten Kohleausstieg sowie der aktuell kaum absehbaren Investitionen in neue Kapazitäten ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Voraussichtlich wird im Vergleich zum Jahr 2019 bis 2023 ca. 17 GW weniger Kapazität, bis zum Jahr 2030 sogar ca. 28 GW weniger Kapazität an Kohle- und Kernenergie zur Verfügung stehen.
„Zugleich stehen die verbleibenden konventionellen Kraftwerke vor der Herausforderung, auch bei mehr volatiler EE-Einspeisung bereitzustehen, um Schwankungen auszugleichen“, sagt Dr. Simon Schulte, Manager am EWI, der die Studie gemeinsam mit David Schlund und Amelie Sitzmann geschrieben hat. „Und das, obwohl sie nur in wenigen Stunden im Jahr eingesetzt werden, und dadurch auch nur wenige Stunden Zeit haben, sich zu refinanzieren.“ Dass zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in wind- und sonnenarmen Stunden zusätzliche regelbare Leistung erforderlich sein wird, ist unumstritten, auch wenn sich die Höhe des Bedarfs von Studie zu Studie unterscheidet.
Das aktuelle deutsche Strommarktdesign steht somit vor mehreren Herausforderungen. Eine Herausforderung bezieht sich auf Knappheitssituationen. Im aktuellen Marktdesign wird Strom auf Grundlage eines sog. Energy-Only-Marktes gehandelt. Der Preis bildet sich jeweils auf Basis der kurzfristigen variablen Kosten der Stromerzeuger. Ist die Erzeugung knapp, sind die Preise kurzfristig sehr hoch. In Knappheitssituationen, in denen alle verfügbaren Kraftwerke im Einsatz sind, können sich Preise oberhalb der Grenzkosten der letzten Erzeugungseinheit einstellen.
„Diese Preisspitzen sind grundsätzlich wichtig, damit auch Spitzenlastkraftwerke ihre Kapitalkosten finanzieren können“, sagt Schulte. „Außerdem können häufig auftretende Preisspitzen Anreiz für Erzeuger sein, in neue Kapazitäten zu investieren.“
Für eine effiziente Preisbildung ist es darüber hinaus wichtig, dass Verbraucher*innen weniger Strom nachfragen (können), wenn der Preis steigt (ausreichende Preiselastizität). Ist das nicht der Fall, können eigentlich effiziente Knappheitspreise nicht entstehen. In der Folge kann es kurzfristig zu unerwünschten Abschaltungen von (Industrie-)Verbrauchern kommen, die ggf. mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten einhergehen. Langfristig können diese fehlenden Preisspitzen dann dazu führen, dass Investitionssignale nicht ausreichend zustande kommen.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, welches Niveau an Versorgungssicherheit gesellschaftlich erwünscht bzw. volkswirtschaftlich optimal ist. Hier müssen die potentiellen volkswirtschaftlichen Kosten für den Aufwand zur Aufrechterhaltung dieses Niveaus gegen den potentiellen Schaden durch Abschaltungen von Verbraucher*innen gegeneinander abgewogen werden.
Um ein hohes Niveau an Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sind verschiedene Maßnahmen möglich. Das EWI diskutiert im Rahmen der Studie verschiedene bereits bestehende Konzepte. Sie unterscheiden sich hauptsächlich darin, ob vorgehaltene Kapazitätsmengen außerhalb des Marktes vergütet werden (ähnlich wie die bereits bestehende Kapazitätsreserve), oder ob zusätzlich zur Vergütung am bereits bestehenden Energy-Only-Markt vorgehaltene Kapazitäten leistungsbezogen vergütet werden („Kapazitätsmarkt“).
Die Autor*innen sind der Meinung, dass die veränderten Rahmenbedingungen, etwa der Kohleausstieg oder der anvisierte zusätzliche volatile EE-Anteil, eine Neubewertung des aktuellen Strommarktdesigns erfordern. Es stellt sich die Frage, ob das bestehende Strommarktdesign ausreicht, oder ob eine leistungsbezogene Vergütung von Kapazität eine sinnvolle Ergänzung darstellen könnte. Zur Beantwortung der Frage bedarf es allerdings einer fundamentalen Modellierung und Analyse.