240 Milliarden Euro – so hoch könnte der jährliche energiewendebedingte Investitionsbedarf in den Sektoren Verkehr-, Gebäude- und Stromversorgung bis zum Jahr 2030 ausfallen. Das ermittelt das EWI für ein mögliches Plan-Szenario im Rahmen einer neuen Analyse. Davon würde der Investitionsbedarf im Gebäudesektor nach KSG-Bilanzierung (hierunter fallen Wohngebäude und Gebäude des GHD-Sektors), also Sanierung und neue Heizanlagen, etwa die Hälfte ausmachen. Insgesamt müsste das Investitionsniveau gegenüber den vergangenen Jahren deutlich steigen. In der Stromversorgung beispielsweise müssten sich die gesamten Investitionen für erneuerbare Energien, Kraftwerke und Netze gegenüber dem historischen Niveau in etwa verdoppeln. Der zusätzliche Kapitalbedarf könnte makroökonomische Verhältnisse verschieben und bringt mehrere Umsetzungsherausforderungen mit sich.
In der Analyse „Investitionen der Energiewende bis 2030 – Investitionsbedarf im Verkehrs-, Wohngebäude- und Stromsektor“ berechnet ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln einen möglichen Investitionsbedarf der Energiewende sowie weitere ökonomische Aspekte dieser Investitionen anhand eines Klimaneutralitätsszenarios aus dem Hauptgutachten des EWI im Rahmen der dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“. Erweitert wird dieses Szenario um aktuelle politische Zielsetzungen. Der errechnete Schätzwert für den Investitionsbedarf ergibt sich aus einem unterstellten Investitionsverlauf sowie typischen aktuellen Investitionskosten. Der Wert hängt von zahlreichen Annahmen ab, beispielsweise zum Ausbau der erneuerbaren Energien, des Sanierungsbedarfes der betrachteten Gebäuden und den tatsächlichen Investitionskosten im betrachteten Zeitraum.
Der Bedarf an Neuinvestitionen in den drei genannten Sektoren beträgt im betrachteten Szenario bis zum Jahr 2030 insgesamt etwa 1,9 Bio. Euro. Der größte Anteil mit etwa 1 Bio. Euro entfiele dabei auf die Sanierung und Modernisierung von Gebäudehüllen und Heizanlagentechnik. Im Verkehrssektor würde der größte Investitionsbedarf durch den teilweisen Austausch der Fahrzeugflotte entstehen; etwa 317 Mrd. Euro könnten dafür bis 2030 anfallen. In der Stromversorgung müssten laut der Analyse durch Unternehmen und Haushalte durchschnittlich jährlich 53 Mrd. Euro investiert werden, vor allem in erneuerbare Energien und Stromnetze.
Die Analyse behandelt nur einen Teil der mit der Energiewende unmittelbar und mittelbar verbundenen Investitionen. So wurde beispielsweise der Investitionsbedarf in der Industrie, der Gas- und Wasserstoffwirtschaft und weiteren Bereichen der Wärmeversorgung nicht betrachtet. Außerdem ergibt sich auch ein umfangreicher indirekter Investitionsbedarf, z.B. in den weiteren Aufbau von Produktionskapazitäten, Wertschöpfungsketten oder benötigter Verkehrsinfrastruktur. Zudem wurden auch keine Preiseffekte aus der deutlichen Erhöhung der Nachfrage nach den erforderlichen Investitionsgütern und Arbeitskräften berücksichtigt. Der gesamte Investitionsbedarf der Energiewende dürfte daher bei Realisierung des untersuchten Plan-Szenarios über den hier errechneten 1,9 Bio. Euro liegen.
Gegenüber dem hier untersuchten Szenario ist seit dem Jahr 2018 bereits ein Investitionsverzug entstanden. Dieser macht etwa 220 Mrd. Euro und damit rund zehn Prozent des gesamten Investitionsbedarfs im untersuchten Szenario aus. Der Stromsektor weist den größten Investitionsverzug auf, sowohl für erneuerbare Erzeugungsanlagen als auch für Netze.
Um den Kapitalbedarf für die betrachteten Investitionen einzuordnen, kann beispielsweise auf einen historischen Vergleich zurückgegriffen werden. In der Analyse wird ein solcher Vergleich für die Energiewirtschaft angestellt. Ergebnis: Das in der Studie für diesen Sektor abgeschätzte Investitionsvolumen entspräche etwa einer Verdoppelung gegenüber den durchschnittlichen jährlichen Investitionen der Zeitspanne von 2018 bis 2022. „Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, müsste nach dem betrachteten Plan-Szenario in der Stromversorgung die Investitionstätigkeit von durchschnittlich 23 auf 53 Mrd. Euro jährlich mehr als verdoppelt werden“, sagt Dr. Philip Schnaars, Manager am EWI, der die Analyse zusammen mit Amir Ashour Novirdoust und Stephan Terhorst erstellt hat. Insbesondere bei Windenergieanlagen, großen PV-Anlagen auf Freiflächen und Stromverteil- und Übertragungsnetzen müsste das Investitionsvolumen im Szenario deutlich gegenüber dem historischen Niveau steigen. Investitionen in PV-Aufdachanlagen, die insbesondere von privaten Haushalten getätigt werden, liegen bereits nahe an dem ermittelten Niveau.
Diese höheren Investitionen in den betrachteten Sektoren würden mehr als sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, eine Steigerung gegenüber dem heutigen Niveau. Bei einer konstanten volkswirtschaftlichen Sparquote müsste dieser Kapitalbedarf zulasten von Investitionen in anderen Sektoren gehen. Andernfalls müsste die gesamtwirtschaftliche Sparquote oder der Kapitalimport aus dem Ausland steigen. Darüber hinaus ergeben sich besondere Herausforderungen für die Eigenkapitalgeber, insbesondere auch Kommunen als Eigentümer von kommunalen Energieversorgungsunternehmen.